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"Die Energiewende kann nur politisch und gesellschaftlich gelöst werden" Interview mit GRA-Preisträger und Journalist Yves Bellinghausen

GRA-Preisträger Yves Bellinghausen auf Recherchereise in El Salvador (privat)

EEHH: Herzlichen Glückwunsch zum Gewinn des German Renewables Awards in der Rubrik 'Medienarbeit des Jahres'! Auf Ihrer Website steht, dass Sie sich auf die Themen Energie, Fortschritt und Schach spezialisiert haben. Wie kam es dazu?

Yves Bellinghausen: "Als ich letztes Jahr an der Reportageschule meine Abschlussarbeit recherchiert habe, habe ich über die deutsche Nordseeinsel Helgoland geschrieben, die sich in den vergangenen Jahren von einem heruntergewirtschafteten Rentnerdomizil zu einem Hotspot der deutschen Energiewende verwandelt hat. Mich hat das Thema interessiert, weil hier Sozialwissenschaften und Technik zusammenkommen. Energiewendethemen sind eine ziemlich interdisziplinäre Frage. Das finde ich spannend. Für Schach interessiere ich mich privat schon lange und seit 2020 durch die Netflix-Serie Damengambit der Hype losging, habe ich eine Chance gesehen, mein Hobby wenigstens Teilweise zum Beruf zu machen. Um Profischachspieler zu werden, war ich leider nie klug genug, aber wenigstens gibt es seit ein paar Jahren genug öffentliches Interesse für Schach, als dass ich darüber schreiben kann."

EEHH: Was reizt Sie besonders am Thema oder möglicherweise auch Energiewende? Was genau bedeutet Fortschritt für Sie?

Yves Bellinghausen: "An der Energiewende reizt mich, dass es auf den ersten Blick ein technisches Problem ist, dass aber bei genauerem Hinsehen nur politisch und gesellschaftlich gelöst werden kann. Ich glaube, die Frage, wie wir unsere Energieversorgung grün umstellen, wird die mit Abstand wichtigste Aufgabe dieses Jahrhunderts sein, denn sie entscheidet ja darüber, ob die menschliche Zivilisation weiterbestehen kann. Ich glaube, eine so große Aufgabe hat es selten gegeben in der Geschichte der Menschheit und das journalistisch zu begleiten, fasziniert mich. Fortschritt bedeutet heute für mich, die modernen Errungenschaften der gesamten Menschheit zur Verfügung zu stellen, ohne dabei die Welt zu vernichten."

EEHH: Wir haben den Preis für Ihre Reportage „Schaut auf dieses Städtchen“ in brandeins verliehen. Konkret geht es um Energiewendeprojekte in Wunsiedel, Bayern. Wie sind Sie auf dieses Thema bzw. diese Geschichte gekommen?

Yves Bellinghausen: "Als ich für meine Abschlussreportage an der Journalistenschule recherchiert habe, ist mir aufgefallen, wie viele Gemeinden ökonomisch davon profitieren, wenn sie sich proaktiv um die Energiewende bemühen. Ich habe angefangen, gezielt nach solchen Orten zu suchen und bin dabei unter anderem auf Wunsiedel gestoßen. In Werbevideos von Siemens und der Gemeinde Wunsiedel wurde das natürlich als der ganz große Wurf dargestellt. Als ich unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt habe, was sie davon halten, kamen vor allem zwei Antworten zurück: Ich habe noch nie von Wunsiedel gehört. Und: Das klingt aber überzeugend. Da dachte ich mir: Das könnte doch eine Geschichte sein."

EEHH: Gute und intensive Recherchen scheinen heute im Journalismus immer weniger zu werden – der Zeit- und Kostendruck auf die Redaktionen ist enorm. Ihnen scheint gute Recherche besonders wichtig zu sein. Welchen Tipp würden Sie angehenden Journalist*innen geben, um sich gute Recherche leisten zu können und als Journalist/in erfolgreich zu sein?

Yves Bellinghausen: "Ich glaube, wenn man bei kleinen Medien genug Erfahrung gesammelt hat und anfängt, vom Journalismus zu leben zu wollen, dann muss man aufhören, für Medien zu arbeiten, die einem nur ein paar Hundert Euro für eine Geschichte zahlen wollen. Ich habe das Gefühl, es gibt noch immer genug große Medien, die fair zahlen und bereit sind, in aufwendige Recherchen zu investieren. Das Magazin brand eins, für das ich die Geschichte 'Schaut auf dieses Städtchen' geschrieben habe, gehört definitiv dazu. Außerdem sollte man die Augen nach Stipendien aufhalten, die einem aufwendige Recherchen querfinanzieren.

EEHH: Aktuell reisen Sie durch El Salvador. Welches Thema recherchieren Sie?

Yves Bellinghausen: "Mithilfe eines Stipendiums des IJP-Journalistenprogramms recherchiere ich aktuelle in El Salvador, denn das Land hat vor einem Jahr den Bitcoin als offizielle Landeswährung eingeführt. Mich interessiert, was daraus geworden ist. Außerdem war das Land noch vor kurzem eines der gefährlichsten Länder der Welt, aber der neue Präsident geht mit einer brutalen Politik gegen Kriminelle vor. Die neue Sicherheit hat einen hohen Preis. Auch dazu recherchiere ich."

Über Astrid Dose

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Reden, schreiben und organisieren – und das mit viel Spaß! So sehen meine Tage beim EEHH-Cluster aus. Seit 2011 verantworte ich die Öffentlichkeitsarbeit und das Marketing des Hamburger Branchennetzwerkes. Von Haus aus bin ich Historikerin und Anglistin, mit einem großen Faible für technische Themen.

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