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Das Problem mit der Technologieoffenheit Inside Energiewende – Der (un)aufgeregte Realtalk

Das Problem mit der Technologieoffenheit

Steigen wir direkt mit einem konkreten Beispiel ein: Sollten wir bei der Wärmewende zu 100 Prozent auf Wärmepumpen setzen? Nein, denn die Voraussetzungen und Herausforderungen der Städte und Gemeinden sind so unterschiedlich, dass eine Blaupausenlösung für alle schlicht unmöglich ist. Diese Feststellung ist trivial, dennoch erzählen Politik und Interessensverbände seit Jahren gebetsmühlenartig von der großen Bedeutung eines technologieoffenen Vorgehens bei der Wärmewende. Über Medienberichte wird uns diese vermeintliche Weisheit dann täglich aufs Brot geschmiert. Sollten wir nicht deutlich tiefgründigere Debatten führen und Detailfragen erörtern?

An der Allgegenwärtigkeit des Begriffs „Technologieoffenheit“ kann seine fehlende Tiefe gut aufgezeigt werden. Einzug in den täglichen Energiewendediskurs fand er primär durch die politischen Debatten im Verkehrssektor über die Frage künftiger Antriebstechnik (batterieelektrisch, mit Brennstoffzellen oder doch besser E-Fuels?). Mittlerweile ist er auch in der Diskussion zur Wärmewende prominent vertreten und es finden sich kaum Statements seitens Politik oder Verbänden, in denen nicht Technologieoffenheit als oberstes Gebot gefordert wird. Es klingt anspruchsvoll und ist konsensfähig, gerade weil großer Interpretationsspielraum bleibt, wenn es vom Allgemeinen ins Detail geht. Die vordergründige Bedeutung ist „kein Ausschluss grundsätzlich zur Dekarbonisierung geeigneter Technologien“. Ans Eingemachte geht es dann bei der Frage, welche politische Unterstützung für welche Technologie notwendig ist. Bei diesen Verteilkämpfen wird der Begriff Technologieoffenheit dann in der genau entgegengesetzten Intention verwendet, mit der vor allem Partikularinteressen durchgesetzt werden sollen.

Technologieoffenheit ≠ gleiche Förderung aller Technologien

Technologieoffenheit wird auch gerne als „keine Bevorzugung einer Technologie durch Fördermaßnahmen“ aufgefasst. Bei unterschiedlicher Marktreife, unterschiedlichem Infrastrukturbedarf etc. kann Technologieoffenheit bei politischen Entscheidungen dann nahezu beliebig als Pro- oder Contra-Argument ins Feld geführt werden. Aus einer wissenschaftlichen Perspektive sind die ungefähren Marktanteile der jeweiligen Technologien an einem in Zukunft dekarbonisierten Wärmemarkt grob beschrieben, realwirtschaftlich sieht das anders aus. Hier sind die Verteilkämpfe im vollen Gange und das selbstverständlich nicht im Interesse der Klimaneutralität 2045.

Die öffentliche Debatte über die Wärmepumpe ist dabei ein gutes Bespiel. Sie wird als Schlüsseltechnologie der Wärmewende eine große Rolle spielen, in der Versorgung von Wohngebäuden und Gewerbe, in der Fernwärme und in einigen Teilen der Industrie. Der Markteinstieg ist in den letzten Jahren gelungen, im Fokus sollte jetzt das Sicherstellen des Hochlaufs und die Integration in das gesamte Energiesystem stehen.

Stattdessen bekommen wir in Dauerschleife erzählt, was Wärmepumpen alles nicht können, beispielsweise industrielle Prozesswärme mit sehr hohen Temperaturen, alte unsanierte Wohngebäude könnten auch problematisch sein. Dann wäre da die fehlende Vereinbarkeit des Roll-Outs von Wärmepumpen mit der Kapazität der Strom-Niederspannungsnetze und schließlich die schlechten Energieeffizienzwerte im realen Betrieb. Das klingt etwas zusammenhangslos und ist auch nur teilweise sachlich korrekt dargestellt. Diese Argumentationskette wird aber regelmäßig so verwendet, um anschließend die, im Sinne der Technologieoffenheit, bessere Alternative Wasserstoff ins Spiel zu bringen, die gegenwärtig von einer „ideologisch getriebenen Politik systematisch verhindert“ werde.

Unterschiedliche Zeitachsen bei der Wärmewende

Diese Grundsatzdebatte wird jedes Mal aufs Neue geführt, gerne auch auf Fachkonferenzen, auf denen eigentlich tiefergehende Diskussionen wünschenswert sind. Die Motivation dazu liegt auf der Hand: Die Wärmepumpe hat sich am Markt etabliert und wird in den nächsten Jahren große Zuwächse erfahren. Die Wasserstoffwirtschaft steht hingegen noch am Anfang, in den nächsten Jahren müssen Produktionskapazitäten, Infrastrukturen, Märkte und eine passende Regulatorik entwickelt werden. Der Wasserstoff wird dringend gebraucht, es wird allerdings noch einige Zeit ins Land gehen, bevor er flächendeckend für alle Anwendungen verfügbar ist. Momentan liegt der Fokus zunächst auf der Industrie und verschiedenen Mobilitätsanwendungen. In der kürzlich erschienenen Studie des Nationalen Wasserstoffrats wird resümiert, dass eine breitere dezentrale Nutzung von Wasserstoff im Wärmesektor ab 2035 kommen wird und vom Erfolg des zuvor skizzierten Hochlaufs abhängt. Bis 2035 werden Wärmepumpen und andere Konzepte den potenziellen Kundenkreis für Wasserstoff stark reduziert haben. Wer langfristig in großem Umfang Wasserstoff zur Wärmeerzeugung verkaufen will, bevorzugt über die bestehenden Erdgasnetze, muss den Erfolg anderer Technologien daher möglichst reduzieren.

Diese Strategie geht teilweise auf. Auf der Strecke bleiben vor allem Privathaushalte, denen diese Debatte wieder und wieder präsentiert wird, bis nichts bleibt außer Verunsicherung. Auch die Wohnungswirtschaft oder einige KMUs, bleiben ratlos zurück. Wer sich öffentlich hinstellt und Technologieoffenheit fordert, sollte 2022 nicht mehr mit Applaus bedacht werden. Vielmehr sollten die eigentlichen Intentionen hinter diesem Statement hinterfragt werden. Wer Interesse an einem zügigen Fortschreiten der Wärmewende hat, sollte den Begriff Technologieoffenheit vielleicht sogar komplett fallen lassen und lieber die konkreten Fallbeispiele diskutieren.

Über Steffen Bechtel

Profilbild zu: Steffen Bechtel

Im Cluster EEHH bin ich seit Februar 2022 für die Themenbereiche Sektorenkopplung und erneuerbare Wärme zuständig. Ich bin Ingenieur mit dem Schwerpunkt Energietechnik und arbeite mit großer Freude daran, die Energiewende in Hamburg voranzubringen.

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