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An alle Befürworter der erneuerbaren Energien: Auf das Timing kommt es an! Ein Gespräch mit Klaus Schweininger von der TRIMET Aluminium SE in Hamburg

An alle Befürworter der erneuerbaren Energien: Auf das Timing kommt es an!
Luftaufnahme des Hamburger Werks der TRIMET Aluminium SE, Rechte: TRIMET Aluminium SE

Von der virtuellen Batterie zur Case Study „Grünstrom Premium“

„Power-to-Aluminium“ oder auch „virtuelle Batterie“ nennt sich das Forschungsprojekt der TRIMET in Hamburg. Im Mittelpunkt steht ein innovatives Konzept zur Flexibilisierung der Aluminiumherstellung. Den Kern der neuen Technik bilden steuerbare Wärmetauscher, die an den Außenseiten der Aluminiumelektrolyse-Zellen angebracht sind. Dort können sie Wärme entweder gezielt abführen oder auch als Isolatoren wirken. Damit kann der Elektrolyse-Prozess im Unterschied zur bisherigen Betriebsweise auf Schwankungen in der Stromeinspeisung flexibel reagieren, ohne dabei Gefahr zu laufen, die Energieeffizienz zu verschlechtern oder gar die Elektrolysezellen zu beschädigen.

Die Umsetzung dieser Idee erfolgte Schritt für Schritt: Zuerst wurde ein Computermodell der Elektrolysezelle und der Wärmetauscher erstellt. Die Simulation ergab, dass eine Veränderung der Stromstärke von +/- 25 Prozent möglich ist. Auf dieser Grundlage wurden zehn Elektrolysezellen zu Testzwecken entsprechend umgerüstet und im Dezember 2019 zum ersten Mal für eine Stunde mit einer Stromstärke von 217.000 Amper betrieben werden. Das war ein großer Erfolg, der auch im Jahr 2020 im Rahmen des NEW 4.0-Feldtests wiederholt nachgewiesen werden konnte. Im Zusammenspiel mit anderen Demonstratoren und der Energie-Plattform ENKO hat TRIMET konkret gezeigt, wie industrielle Lastflexibilität dazu genutzt werden kann, die Verwertungsquote von Windenergie zu erhöhen, Netzengpässe zu reduzieren oder Fahrplanabweichungen bilateral auszuregeln.

Die Idee für einen weiteren Anwendungsfall der virtuellen Batterie kam TRIMET bei einem Blick über das Werksgelände im Hamburger Hafen. Neben dem NEW 4.0 – Demonstrator stehen dort nämlich unübersehbar drei 200-Meter-hohe Windenergieanlagen des Partners Hamburg Energie GmbH. Diese erzeugen genug regenerativen Strom im Jahr, um rechnerisch ca. 7.000 Haushalte versorgen zu können. In Kombination mit der virtuellen Batterie sollte geprüft werden, ob das Aluminiumwerk zukünftig ein „ehrlicheres“ Grünstromprodukt für Hamburger Haushalte anbieten könnte. Zu den Hintergründen äußerte sich Herr Schweininger wie folgt:

„Öko- oder Grünstrom für private Haushaltskunden bietet heute praktisch jeder namenhafte Stromanbieter in Deutschland an. Erst bei einem „Blick ins Kleingedruckte“ wird klar, dass es sich nicht um hundertprozentigen Ökostrom handelt; oft ist zum Beispiel auch der Einsatz von Zertifikaten zur CO2-Kompensation gestattet. Was heißt das in der Praxis: Wenn ein privater Haushalt zu Zeiten einer „Dunkelflaute“ - also an einem trüben, windarmen Novembertag beispielsweise - seinen Backofen aufheizt, kommt der Strom in diesem Moment tatsächlich doch aus konventionellen Atom-, Gas- oder Kohlekraftwerken.

Nun wird der Sprung zu unserer „Grünstrom Premium“ Idee klar: Mit der virtuellen Batterie aus dem NEW 4-0 Projekt und den Windenergieanlagen auf dem gleichen Gelände müsste es doch möglich sein, für Hamburger Haushalte eine Versorgung sicherzustellen, bei der der Strom vollständig und zu jeder Zeit aus regionaler Windkraft kommt.“

Die Ergebnisse der Simulation waren ernüchternd

Soweit die Idee. Auch hier ging TRIMET schrittweise und basierend auf einer in 15-Minuten-Intervallen getakteten Jahressimulation vor. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Die Auswertung hat ergeben, dass unter einer Jahres-Vollversorgungs-Prämisse trotz der eigentlich sehr großen Batterie mit einer Kapazität von 65 MWh nur 125 Haushalte tatsächlich mit Grünstrom Premium versorgt werden könnten. Das entspricht lediglich 1,8 Prozent der eigentlich möglichen 7.000 Haushalte. Für eine vollständige Nutzung würde eine Batterie mit 2.700 MWh benötigt. Eine Lithium-Ionen-Batterie dieser Größenordnung kostet nach aktuellen Marktpreisen ca. 800 Millionen Euro, wäre also unbezahlbar. Selbst wenn sich diese Batterie über zehn oder 20 Jahre abschreiben ließe, würden die monatlichen Kosten jeglichen Rahmen sprengen.

TRIMET hat daraufhin die Parameter des Projektes so verändert, dass zu 85 Prozent eines Jahres die Versorgung der Privathaushalte über die virtuelle Batterie erfolgt und nur in den verbleibenden 15 Prozent des Jahres Strom aus dem Netz bezogen bzw. an das Netz geliefert wird. Im November 2020 wurde dieses Scenario mit der Anlage für drei Tage praktisch nachgewiesen.

Der Bedarf für Speicher ist gigantisch hoch und wird total unterschätzt

Die Simulation hat also gezeigt, wie schwierig es tatsächlich ist, mit der heutigen Speichertechnik volatile Erzeugung und Verbrauch zu überbrücken und lohnende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Deutlich wird auch, dass die Herausforderung nicht im technischen Management der Anlagen, sondern in den unterschiedlichen Lastprofilen liegt. Gerade deswegen betonte Klaus Schweininger in unserem Gespräch die Notwendigkeit von Speichertechnologien:

„Der Bedarf für Speicher ist gigantisch hoch und wird total unterschätzt. Außerdem ist die auf dem Markt erhältliche Speichertechnik heute noch extrem teuer. Deswegen werden wir wohl kurz- bis mittelfristig um fossile Back-Up-Lösungen - im Wesentlichen sind das Gaskraftwerke - kaufmännisch und technisch nicht herumkommen."

An die Befürworter der erneuerbaren Energien: Auf das Timing kommt es an!

TRIMETS‘s Praxisbeispiele zeigen, wo auf dem Weg hin zu einem klimaneutralen Energiesystem Chancen bestehen und Hürden liegen. Die wohl größte Baustelle ist die der Speichertechnologie. Zwar laufen Forschungs- und Entwicklungsprojekte, die wertvolle Erkenntnisse und vielversprechende technische Neuentwicklungen zutage bringen, auf Hochtouren. Im Wesentlichen ist hier die Wasserstoff-Technologie anzuführen. Dennoch befindet sich Deutschland noch in der Testphase. Bis zu einem industriellen Markthochlauf und damit einhergehenden Skalierungseffekten, die den Einsatz von regenerativen Großspeichern betriebswirtschaftlich attraktiv macht, ist noch ein langer Weg. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Vermarktung von Flexibilitäten aufgrund fehlender monetärer Anreize für Unternehmen aktuell nicht rechnet. Auch der Zubau von erneuerbaren Energieanlagen ist in den letzten Jahren ins Stocken geraten. Ähnlich verhält es sich mit dem Netzausbau.

In Anbetracht all dieser widrigen Umstände plädiert Klaus Schweininger zum Ende des Interviews für eine realistische Einschätzung der Lage und einer entsprechenden Anpassung von Zielkorridoren zur Minderung unserer Emissionen:

„Wir haben in Deutschland Atomkraftwerke in den 60er und 70er gebaut, ohne uns Gedanken zu machen, was wir mit dem Atommüll machen. Wir haben ab 2000 in riesigem Umfang Wind- und Solar dazu gebaut, ohne uns Gedanken zu machen, wie wir diese Energie von den Erzeugungsorten durch das Netz zu den Verbrauchern transportieren und auch ohne uns darüber Gedanken zu machen, ob die fluktuierende Erzeugung erneuerbarer Energien überhaupt mit dem Abnahmeverhalten zusammenpasst. Wir sind jetzt dabei, einen solchen Fehler noch einmal zu machen, indem wir konventionelle Kraftwerke abschalten, ohne uns Gedanken zu machen, wo denn der Strom übergangsweise herkommen soll.

Daher denke ich, dass wir hier etwas ehrlicher sein und uns offen fragen sollten, ob wir wirklich 100 Prozent Dekarbonisierung wollen? Oder schreiben wir uns fürs erste 80 Prozent auf die Fahnen, um so unser akutes Deckungsproblem und die Gefahren von Dunkelflauten ganz bewusst mit stabileren und kostengünstigeren Alternativen zu lösen."

Im Klartext bedeutet das: solange weder ein massiver Zubau von erneuerbaren Energien gelingt noch Anreize für mehr Flexibilität im Energiesystem geschaffen werden, ist Vorsicht beim Abschalten der konventionellen Kraftwerke geboten.

Über Janina Grimm

Profilbild zu: Janina Grimm

Seit März 2020 leite ich das B2B-Marketing von NEW 4.0 im Cluster EEHH. Ob auf dieser Webseite, bei Twitter, via LinkedIn, auf Fachveranstaltungen und Messen - jeden Tag kann ich über das reden und schreiben, was mich am meisten interessiert: Die Entwicklung innovativer Lösungen für eine ganzheitliche und nachhaltige Transformation unseres Energiesystems. Parallel studiere ich meinen Master in Energy Policy. Diese Kombination aus Praxis und Theorie birgt viele tolle Chancen, meine Kenntnisse im Bereich der Erneuerbaren-Energien-Branche und nachhaltiger Energiepolitik zu vertiefen.

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