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Mehr Transparenz für eine erfolgreiche Wärmewende Interview mit Dr. Dirk Legler zur neuen Fernwärme-Verordnung

Im folgenden Interview gibt Dr. Dirk Legler, Mitglied des EEHH-Forums Wärme, eine Einschätzung zur Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVB FernwärmeV).

Mehr Transparenz für eine erfolgreiche Wärmewende
Karoline (Jörg Böthling/EEHH GmbH)

EEHH: Moin Herr Legler, im Oktober 2021 wurden mit der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVB FernwärmeV) und die Verordnung über die Verbrauchserfassung und Abrechnung der Versorgung mit Fernwärme und Fernkälte (FFVAV) zwei Rechtsnormen novelliert bzw. neu geschaffen, die zu erheblichen Veränderungen für (Fern-) Wärmeversorger bzw. Contractoren führen können. Was sind die wesentlichen Neuerungen in den Verordnungen und ihre möglichen Auswirkungen?

Dr. Dirk Legler: "Die Wärmelieferung wird vertragsrechtlich seit jeher durch die AVBFernwärmeV determiniert. Diese ist seit ihrem Bestehen 1980 nur unwesentlich angepasst worden (ganz anders als etwa die Grundversorgungsverordnungen im Strom- und Gasbereich).

Seit dem 05.10.2021 haben wir nun aber auch im Wärmebereich erhebliche Anpassungen. Das betrifft insbesondere neue Veröffentlichungspflichten. Aber auch im Recht der einseitigen Änderung von Versorgungsbedingungen und Wärmepreisen hat sich in der AVBFernwärmeV etwas geändert, und:  es gibt jetzt erstmals ein Recht des Kunden zur Leistungsanpassung und gegebenenfalls sogar zur Sonderkündigung im laufenden Fernwärmeliefervertrag.

Zusätzlich gibt es die neue FFVAV. Diese setzt die teilweise sehr detaillierten Vorgaben aus der europäischen Energieeffizienzrichtlinie (EED 2018) verbindlich für Deutschland um und schafft neue Regelungen für mehr Transparenz und Digitalisierung bei Messung, Abrechnung und Kundeninformation im Wärmebereich. Unter anderem muss der Wärmverbrauch explizit verbrauchsnah gemessen werden, und es müssen neu installierte Messeeinrichtungen insbesondere ab sofort fernablesbar sein. Abrechnungen und Abrechnungsinformationen sind unentgeltlich zu übermitteln, und es gibt neue detaillierte Transparenzanforderungen, u.a. mit der Pflicht zur Veröffentlichung des Primärenergiefaktors und des Anteils erneuerbarer Energien im Wärmenetz.

Rechtlich sehr interessant ist ferner, dass die AVBFernwärmeV weiterhin keine eigenständige Definition des Begriffs der 'Fernwärme' enthält, während die FFVAV eine solche Definition versucht. Das kann im Einzelfall bei Contracting-Konstellationen rechtlich schwierig werden."

EEHH: Erwarten Sie denn tatsächlich spürbare Auswirkungen in der Praxis, oder zeigt Ihre Erfahrung der letzten Wochen, dass z.B.  eine Anwendung des § 3 AVBFernwärmeV im Hinblick auf eine Reduzierung der Heizleistung kaum angewendet werden wird?

Dr. Dirk Legler: "Für einen ersten Praxis-Check ist es noch viel zu früh. Der neue § 3 AVBFernwärmeV ist ja erst seit dem 05.10.2021 in Kraft. Es ist rechtlich zudem auch zweifelhaft, ob dieser neue § 3 auf bestehende Verträge, die noch unter Geltung der alten AVBFernwärmeV zustande gekommen sind, überhaupt anzuwenden ist. Bei Neuverträgen findet der neue § 3 AVBFernwärmeV aber selbstverständlich schon Beachtung. Ich empfehle hier allen, die derzeit neue Wärmelieferverträge verhandeln, dringend den § 3 individuell abzubedingen, d.h. zu diesem Punkt eine abweichende Vereinbarung zu treffen. Dabei muss man indes (aus Sicht beider Seiten) sehr sorgsam vorgehen, um später keine Unwirksamkeit in Bezug auf diese abweichende Vereinbarung zu erleiden.

Fakt ist jedenfalls, dass der neue § 3 AVBFernwärmeV meiner Ansicht nach weder aus Sicht der Wärmelieferanten, noch aus Sicht der Kunden eine gute Lösung darstellt. Er schafft Planungsunsicherheit für die Wärmelieferanten, und das bedeutet höhere Wärmepreise. Damit ist aber im Endeffekt keinem Verbraucher gedient. Der Klima-Effekt des neuen § 3 ist ohnehin sehr fraglich."

EEHH: Die Anpassung der Verordnungen erfolgte nicht zuletzt, um die Umsetzung von EU-Energieeffizienzrichtlinien zu erfüllen. Diese dienen vereinfacht gesagt dem Zweck, den Energieverbrauch in den EU-Mitgliedsstaaten zu reduzieren und den Anteil erneuerbarer Energien in der Energie-/ Wärmeversorgung zu erhöhen. Wird dieses Ziel mit den genannten Verordnungen im Bereich der Fernwärmeversorgung hinlänglich erreicht?

Dr. Dirk Legler: "Da muss man, denke ich, durchaus differenzieren: Denn für die Energieeffizienz ist schon viel erreicht, für die Erneuerbaren im Wärmebereich aber eher noch gar nicht. Was die Effizienz angeht, da ist die erhöhte Transparenz durch die neue FFVAV der erste notwendige Schritt. Denn Transparenz ist immer gut fürs Energiesparen: Wer weiß, was er Monat für Monat verbraucht, ändert eher sein Verhalten. Ich befürworte ohnehin seit Jahren, dass der Wärmeverbrauch (und nicht nur der Verbrauch der Einsatzenergie, also der Gas- oder Stromverbrauch) verbrauchsnah gemessen werden sollte. Das ist auch für die Eigenversorgung eine gute Idee und nicht nur bei der Wärmelieferung. Denn welcher Vermieter weiß schon, wie hoffnungslos ineffizient oftmals seine Heizkessel im Keller sind und wie viel CO2 er sparen könnte, wenn er die Wärmeversorgung seiner vermieteten Immobilen etwas effizienter ausgestalten würde?

Was das Ziel eines erhöhten Einsatzes von Erneuerbaren im Wärmesektor angeht, so sehe ich die Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED II) durch den neuen § 3 AVBFernwärmeV als eher suboptimal an. Das dürfte mit Sicherheit die Gerichte beschäftigen, wenn der Verordnungsgeber nicht noch einmal nachsteuert, wie das neue Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministerium schon angekündigt hat."

EEHH: Wo besteht aus Ihrer Sicht konkret Nachbesserungsbedarf?

Dr. Dirk Legler: "Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU hat viele gute Vorschläge für die Wärmewende. Die sehe ich in der neuen AVBFernwärmeV noch nicht gut umgesetzt. Was ist z.B. mit dem geplanten kleinen Quartiersnetz für eine Wohnungseigentümergemeinschaft, das zu 100 % aus erneuerbaren Energien gespeist wird (Wärmepumpen, Eisspeicher, Erdsonden, Solarthermie, o.ä.)? Soll dieses Quartiersnetz in seiner Finanzierbarkeit und Planungssicherheit durch den neuen § 3AVBFernwärmeV eingeschränkt sein, weil die Wohnungseigentümergemeinschaft z.B. nach fünf Jahren jederzeit sagen könnte, sie will nur noch 50 % der Leistung zahlen oder gar kündigen? Das kann nicht im Sinne des Klimaschutzes sein. Da müssen differenzierte Lösungen her, die nach Größe und Wärmequelle unterscheiden, wie das im Übrigen auch die Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU tut. Auch das Bundeskartellamt hat immer zwischen den großen Fernwärmenetzbetreibern mit ihren riesigen (fossilen) Heizwerken und den kleineren Contractoren und deren kleinen hocheffizienten Nahwärme- bzw. sogar Objektversorgungslösungen unterschieden."

EEHH: Wagen wir einen Blick über den Tellerrand: Unabhängig von den gerade besprochenen spezifischen Verordnungen, können Sie uns die aus Ihrer Sicht drei wichtigsten Punkte nennen, die auf regulatorischer Ebene angepasst werden müssten, damit die Wärmewende in Deutschland gelingen kann?

Dr. Dirk Legler: "Sie fragen explizit nach der regulatorischen Ebene. Nun, da ist mit Sicherheit der CO2-Preis nach BEHG zu nennen und andererseits auch die EEG-Umlage nach EEG. Wenn die EEG-Umlage zum 01.01.2023 nämlich tatsächlich abgeschafft wird, wird die Sektorenkopplung zwischen Strom und Wärme attraktiver als jetzt. Wenn dann auch noch gleichzeitig die CO2-Bepreisung weiter ansteigt und fossile Wärmeversorgung immer teurer wird, dann ist schon viel für die Wärmewende gewonnen.

Auf der anderen Seite erfahren wir nach wie vor sehr viele Hemmnisse im Mietrecht. Deutschland ist aber Mieterland: Knapp 60 % aller Deutschen wohnen in Mietwohnungen, und nach wie vor werden weit über zwei Drittel aller Mietwohnungen fossil beheizt. Will man nun im vermieteten Bestand auf gewerbliche Wärmelieferung aus z.B. erneuerbaren Energien wechseln, muss das kostenneutral sein. Hochinvestive erneuerbare Lösungen werden seit Jahren benachteiligt. Die bestehende Gesetzeslage stellt ein wesentliches Hemmnis für die Wärmewende im vermieteten Gebäudebestand dar. Dieses Hemmnis besteht zum einen darin, dass die Effekte zusätzlicher Investitionen (z.B. hydraulischer Abgleich, Steuerungstechnik) nicht beim Kostenvergleich (entsprechend der Vorgaben aus § 556c BGB und der WärmeLV) angerechnet werden dürfen. Erlaubt ist nur eine Anrechnung von Maßnahmen, die an der Energieversorgungsanlage selbst vorgenommen werden, nicht aber Maßnahmen, die „hinter dem Wärmemengenzähler“ durchgeführt werden. Zum anderen wird die Umstellung auf Erneuerbare nicht belohnt. Interessengerecht wäre es aber meines Erachtens, die Senkung des Primärenergiefaktors auf die Kostenneutralität anzurechnen und damit den Klimaeffekt auch beim Kostenvergleich im Mietrecht abzubilden.

Last but not least will ich auch auf die oben benannte Einführung eines verpflichtenden Einbaus von Wärmemengenzählers hinter jeder Wärmeerzeugungsanlage zurückkommen. Ich finde, dass gerade auch in der vermieterseitigen Eigenversorgung endlich mehr Transparenz geschaffen werden muss. Denn das ist doch das Hauptmanko: Würden die Vermieter hier zu mehr Transparenz gezwungen bzw. besser ihren Erneuerungsbedarf erkennen, dann wäre schon viel für die Wärmewende gewonnen. Nach diesem ersten Schritt können (und müssen) dann viele weitere folgen."

Herr Legler, wir danken Ihnen für das Gespräch und ihre fachlichen Erläuterungen.

 

 

Über Constantin Lange

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Beim Cluster bin ich für den Bereich Forschung und Innovation zuständig und bin damit die Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Industrie und Wissenschaft. Meine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Wind – und Solarenergie sowie im Themenfeld Wärme. Über unsere Fachforen und verschiedene Veranstaltungsformate verantworte ich u.a. direkte Informations- und Diskussionsformate für unsere Mitgliedsunternehmen.

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