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H₂-ready: Kraftwerke mit Zukunft Wie H2-ready Gaskraftwerke den Kohleausstieg absichern und zugleich den Weg für Wasserstoff bereiten sollen.
Das EEHH-Mitgliedsunternehmen EnBW setzt auf H₂-ready-Kraftwerke, die heute mit Erdgas laufen und ab den 2030ern schrittweise auf Wasserstoff umgestellt werden sollen. Ein moderater Mehraufwand heute soll Milliardeninvestitionen von morgen vermeiden. Was H₂-ready bedeutet und welche Anreize heute nötig sind, verrät Andreas Pick, Leiter der Portfolioentwicklung der disponiblen Erzeugung bei EnBW, im Interview.

EEHH: Wie bewertet EnBW die Pläne der Bundesregierung, 20 Gigawatt Gaskraftwerke zu bauen und dabei womöglich auf eine verpflichtende Wasserstofffähigkeit zu verzichten?
Andreas Pick: Als EnBW sind wir der Auffassung, dass die Ausschreibung von Gaskraftwerken in dieser Größenordnung eine dringende, wenn nicht sogar überfällige Maßnahme ist, um die Kohle aus der disponiblen Stromerzeugung zu verdrängen. So wird der Kohleausstieg ermöglicht und die Energieversorgung Schritt für Schritt dekarbonisiert.
Auf eine Wasserstoff-Fähigkeit der neuen Kraftwerke verzichten zu wollen, würde ich hingegen als vertane Chance sehen. Ein modernes Gaskraftwerk, welches heute geplant wird, kann mit einem vertretbaren Mehraufwand so ausgelegt werden, dass eine spätere Umrüstung für den Betrieb mit 100 Prozent Wasserstoff möglich ist. Vor dem Hintergrund unserer eigenen Klimaziele werden wir unsere Kraftwerke in jedem Fall H2-ready bauen.
EEHH: Braucht es, wie von der Bundesregierung gefordert, langfristige Gasverträge in Kombination mit CCS/CCU, für Versorgungssicherheit über das Jahr 2035 hinaus oder sind andere Optionen denkbar?
Andreas Pick: Unsere klare Präferenz ist, die Stromerzeugung über Kraftwerke zu dekarbonisieren, die direkt CO2-freie Gase – also grünen oder in einer Übergangsphase blauen Wasserstoff – verwenden. Es gibt mehrere Argumente, die gegen CCS-Anlagen an den Kraftwerken selbst sprechen. Dazu zählt in erster Linie, die nicht vorhandene CO2-Infrastruktur, deren Bau mit hohen Investitionskosten verbunden wäre, sowie ein Wirkungsgradverlust von Kraftwerken mit CCS-Abspaltungsanlagen. Zudem dürften im Spitzen- bis niedrigen Mittellastbereich, in welchem die Gaskraftwerke voraussichtlich laufen werden, keine guten Abscheidegrade über eine CCS-Anlage erzielt werden. Solche Abspaltungsanlagen sind in der Regel für einen kontinuierlichen Dauerbetrieb ausgelegt. Wasserstoff hingegen ist auf der Zeitschiene schon weiter vorangeschritten und dürfte u. a. aufgrund der geplanten beziehungsweise im Bau befindlichen Infrastruktur auch volkswirtschaftlich günstiger sein. CCS kann aus unserer Sicht in der Übergangszeit eine Rolle bei der Herstellung der CO2-freien Gase wie blauem Wasserstoff einnehmen, um dem vermutlich zu langsamen Hochlauf von grünem Wasserstoff vorzubeugen – aber eben nicht an den Kraftwerkstandorten.
EEHH: Was genau bedeutet „H₂-ready“ im Kraftwerkskontext? Was steckt technisch hinter der Bezeichnung?
Andreas Pick: Es gibt große Unterschiede in den Eigenschaften der Gase Methan (Erdgas) und Wasserstoff. Diese Unterschiede haben technische Auswirkungen, die beim heutigen Bau einer H2-ready-Anlage vorausgedacht werden müssen, um eine spätere Umstellung der Gesamtanlage auf Wasserstoff zu ermöglichen.
So kann Wasserstoff aufgrund seiner kleinen Molekülstruktur Werkstoffe gut durchdringen. Daher müssten die Gasleitungen in den Kraftwerken mit Materialien gebaut werden, die für die kleinen Wasserstoff-Moleküle undurchlässig sind.
Aufgrund einer geringeren Energiedichte müsste Wasserstoff mit einem höheren Druck auf die Gasturbine aufgebracht werden, um eine vergleichbare Feuerungswärmeleistung zu erreichen. Es bräuchte demzufolge eine Verdichteranlage. Bei H2-ready-Kraftwerken werden der Platzbedarf für eine solche Anlage, sowie die Einbindung in die Rohrleitungssysteme mitberücksichtigt. Ebenso ist das Abbrandverhalten des Wasserstoffs in der Gasturbine anders als bei Methan. Während die eigentliche Turbine deswegen nicht mehr verändert werden muss, müssen jedoch die Brennerdüsen bei der späteren Umstellung auf Wasserstoffbetrieb ausgetauscht werden und das muss entsprechend möglich bzw. vorbereitet sein.
Obwohl H2 emissionsfrei verbrennt, ist in der Verbrennungsluft Stickstoff enthalten. Durch die höheren Temperaturen, mit denen H2 verbrannt wird, werden mehr Stickoxide als bei der konventionellen Gasverbrennung erzeugt, die in entsprechenden DeNOx-Anlagen gefiltert werden müssen. In den Planungen von H2-ready Kraftwerken werden Platzbedarfe solch größerer Filtervorrichtungen und entsprechende Einbindungen in Abluftströme von vornherein eingeplant.
Das sind zusammengefasst die wesentlichen und großen Baustellen einer H2-ready Anlage.
EEHH: Vielen Dank für die detaillierte Ausführung. Was bedeuten diese „Baustellen“ für die Konzeption eines Kraftwerkes – ist es dadurch deutlich teurer/technisch aufwendiger?
Andreas Pick: Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Integration der H2-ready-Anforderungen mit einem moderaten Aufwand verbunden, der sich in einem erhöhten Platzbedarf und etwas höheren Investitionskosten von rund fünf Prozent der Gesamtkosten ausdrückt. Dafür wird die Anlage zukunftsfähig, da die Voraussetzung geschaffen wird, diese zu einem späteren Zeitpunkt mit 100 Prozent Wasserstoff betreiben zu können. So kann ein zukünftiger CO2-freier Betrieb ohne umfangreiche Neuinvestitionen sichergestellt werden.

EEHH: Zu wann planen Sie bei EnBW den Umstieg der Kraftwerke auf Wasserstoff?
Andreas Pick: Wir planen die Umstellung auf Wasserstoff Mitte der 2030er Jahre. Zu diesem Zeitpunkt müssen die angesprochenen Komponenten, der Verdichter und die größere DeNOx-Anlage nachgerüstet werden. Dies ist preislich ebenfalls im einstelligen Prozentbereich der Ursprungsinvestitionen anzusiedeln und daher vertretbar. Die Nachrüstung lässt sich zudem zeitlich gut in einen klassischen Revisions- oder Wartungsstillstand integrieren. Danach läuft die Anlage zu 100 Prozent mit Wasserstoff.
EEHH: Haben Sie bereits H₂-ready-Kraftwerke errichtet oder befinden sich solche in der Planung? Wie ist Ihre Erfahrung mit der Technologie?
Andreas Pick: Wir sind deutlich über die Planungsphase hinaus. Eine erste Anlage am Standort Stuttgart-Münster mit einer elektrischen Nennleistung von 124 Megawatt ist bereits im Betrieb und für eine Umstellung 2035 H2-ready. Zwei weitere und größere Gas- und Dampfturbinenanlagen an den Standorten Heilbronn und Altbach Deizisau mit vorgesehenen Leistungen von 675 beziehungsweise 665 Megawatt sind im Bau und werden ebenfalls H2-ready errichtet. Darüber hinaus bereiten wir konkrete Projektentwicklungen für zusätzliche Kraftwerksvorhaben vor und prüfen vorhandene und weitere Erzeugungsstandorte für zukünftige Auktionen im Rahmen des geplanten Kraftwerkssicherheitsgesetzes. Sofern der regulatorische Rahmen ausreichend attraktiv ist, werden wir uns mit diesen Projekten dann an den Auktionen beteiligen.
EEHH: Können Sie eine Größenordnung für den Wasserstoffbedarf eines H2-ready bzw. vollwertigen Wasserstoffkraftwerkes angeben?
Andreas Pick: Wie viel Wasserstoff eine große Gas- und Dampfturbinenanlage in der Praxis braucht, hängt von diversen Parametern ab, etwa der installierten Leistung, der Anzahl Betriebsstunden im Volllastbetrieb und damit der Menge an produziertem Strom. Machen wir ein Rechenbeispiel: Nehmen wir an, eine Anlage hat 600 Megawatt an elektrischer Leistung und läuft später im Wasserstoffbetrieb im niedrigen Mittellastbereich mit 2000 Volllaststunden – also nur dann, wenn keine Erneuerbaren zur Verfügung stehen oder der Bedarf die Erzeugung aus Erneuerbaren übersteigt. In diesem Fall würden rechnerisch 1,2 Terawattstunden Strom im Jahr produziert. Mit einem 60-prozentigen Wirkungsgrad der Anlage läge der Wasserstoffbedarf bei circa 60.000 Tonnen im Jahr. Wirkungsgrade von 60 Prozent werden von modernen Gas- und Dampfturbinenkraftwerken im Übrigen unabhängig davon erreicht, ob Erdgas oder Wasserstoff eingesetzt wird. Das ist ein großer Vorteil gegenüber Kohlekraftwerken, deren Wirkungsgrade nur um die 40 Prozent und damit deutlich niedriger liegen.
EEHH: Allein durch die Stromerlöse aus den wenigen erwarteten Betriebsstunden nach dem Merit-Order-Prinzip sind die benötigten Kraftwerke für Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht finanzierbar. Welche Anreize braucht es für Betreiber?
Andreas Pick: Im Prinzip jene Anreize, die unter der derzeitigen sowie Vorgängerregierung geplant sind beziehungsweise waren. Wir brauchen, um Kraftwerke in dieser Größenordnung bauen zu können, eine Honorierung der verfügbaren elektrischen Kapazität. Das bedeutet, ein Kraftwerk muss sich nicht mit den wenigen Betriebsstunden amortisieren, sondern bekommt auch eine Vergütung dafür, dass es prinzipiell in der Lage ist, auf Abruf jederzeit die benötigte Stromkapazität bereitzustellen. Dies ist der Grundgedanke hinter dem Kraftwerkssicherheitsgesetz, den auch Frau Reiche bei den Neuausschreibungen für Kraftwerke zu berücksichtigen plant. Langfristig kann dann der vorgesehene Kapazitätsmarkt diesen Anreiz schaffen.

EEHH: Sie setzen auch Batteriespeicherprojekte um. Inwiefern ergänzen diese H₂-Kraftwerke zukünftig?
Andreas Pick: Um es klar zu sagen: Im Energiesystem der Zukunft brauchen wir beides, Batteriespeicher und H2-ready Gaskraftwerke. Daher investiert die EnBW auch massiv in Batteriespeicher. Um zwei Beispiele zu nennen: Kürzlich wurde die Investitionsentscheidung für eine Großbatterie mit 100 Megawattstunden Kapazität am Kraftwerksstandort Marbach getroffen, die jetzt gebaut wird. Ein weiteres Batteriespeicherprojekt mit 400MW Leistung und einer Kapazität von 800 MWh in Philippsburg ist in der Planung. Das sind Projekte, die wir wirtschaftlich umsetzen können, weil sie auf den Ausgleich der Volatilität der Erneuerbaren einzahlen.
Häufig wird aber diskutiert: Können Batterien Gas- bzw. Wasserstoffkraftwerke ersetzen? Dieser Aussage muss ich widersprechen, denn Batterien und Kraftwerke haben unterschiedliche Stärken und unterschiedliche Geschäftsmodelle. Batterien sind vor allem für kurzfristige Speicherung mit vielen Ladezyklen geeignet. Aktuelle Batterien speichern im Durchschnitt circa 1 ½ Stunden, die Großbatterien werden zukünftig zwischen vier und sechs Stunden schaffen. Für längere Zeiträume ohne erneuerbaren Strom – etwa lange Nächte oder Dunkelflauten – sind Gaskraftwerke als Überbrückung notwendig, da sie auf langfristig speicherbare Energieträger zurückgreifen können. Wirtschaftlich wird es für Batterien schwierig, wenn sie Strom über längere Zeit speichern sollen, aber nur selten entladen werden. In solchen Fällen sind Gaskraftwerke ab einem bestimmten Punkt die wirtschaftlichere Lösung.
EEHH: Wie wirkt sich die Marktunsicherheit beim Wasserstoffhochlauf auf Ihre Investitionsentscheidungen aus?
Andreas Pick: Für Investitionsentscheidungen unterstellen wir eine grundsätzliche Verfügbarkeit von Wasserstoff zum geplanten Umstellungszeitpunkt ab 2035. Dafür ist es notwendig, dass die entsprechenden Wasserstoffsysteme rechtzeitig implementiert werden. Die fristgerechte Installation ist nicht etwa allein durch eine technische oder auch kommerzielle Machbarkeit gefährdet, sondern wir sehen das klassische Henne-Ei-Problem. In die Herstellung von grünem Wasserstoff mittels Elektrolyse wird momentan wenig investiert, weil noch kein konkreter Bedarf für grünen Wasserstoff vorhanden ist und damit kein funktionierender Markt entstehen kann. Das erschwert die Preiskalkulation sowohl für Wasserstoffproduzenten als auch für Abnehmer. Marktteilnehmer zögern daher, Investitionsentscheidungen für Wasserstoffanwendungen zu treffen. Vor diesem Hintergrund ist es aus unserer Sicht umso wichtiger, die Verpflichtung für neue Gaskraftwerke zu einer zukünftigen Wasserstoffumstellung aufrechtzuerhalten, weil dadurch Anker-Kunden entstehen, die einen planbaren Bedarf schaffen. Eine solche Maßnahme dürfte sowohl den Infrastrukturaufbau als auch den Markthochlauf beschleunigen.
EEHH: Ist H₂-ready aus Ihrer Sicht die einzige Brückentechnologie für den Kohleausstieg?
Andreas Pick: Wir sehen Wasserstoffkraftwerke in Kombination mit den angesprochenen Batteriespeichern als die einzige wesentliche Technologie. Wie bereits erwähnt, hat CCS aus unserer Sicht eher in der Erzeugung emissionsfreier Gase wie blauem H2 seine Berechtigung. Für andere Optionen wie Pumpspeicherkraftwerke, Druckspeicherkraftwerke etc. hat Deutschland zu wenige Standorte, um den Strombedarf nach Abschalten der Kohlekraftwerke damit zu einem wesentlichen Anteil zu decken.
Vielen Dank für das Interview!