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„Hamburg bleibt DER Treiber beim Thema Wasserstoff“ Interview mit der Stabsstelle Wasserstoffwirtschaft

Die Stabsstelle Wasserstoffwirtschaft der Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI) vernetzt die heterogenen Akteure des Wasserstoffökosystems mit der Stadt Hamburg und unterstützt den Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft am Standort. Im Interview gewährt Leiter Markus Pitz einen Blick hinter die Kulissen der Stabsstellentätigkeit.

„Hamburg bleibt DER Treiber beim Thema Wasserstoff“
Der Hamburger Hafen ist der wichtigste Schauplatz beim Aufbau der lokalen Wasserstoffwirtschaft. Copyright: Mediaserver Hamburg

Herr Pitz, die Tatsache, dass Hamburg eigens für das Thema Wasserstoffwirtschaft eine Stabsstelle gegründet hat, ist deutschlandweit einzigartig. Können Sie uns etwas zu den Hintergründen erläutern?

 

Die Einrichtung unserer Stabsstelle ist ein ganz klares Signal der Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI), wie wichtig der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft für den Standort Hamburg ist. Mit diesem völlig neuen Wirtschaftsbereich werden wir die Dekarbonisierung der Wirtschaft vorantreiben und damit unsere Klimaziele erreichen. Es handelt sich um ein Querschnittsthema, das entlang der gesamten Wertschöpfungskette fast alle Hamburger Wirtschaftszweige berührt: z.B. die Metallurgie, die Luftfahrt und maritime Wirtschaft oder auch der Schwerlastverkehr bei den Logistikunternehmen. Um die Wirtschaft in ihrer Transformation bestmöglich zu begleiten, haben wir das Thema Wasserstoff organisatorisch nicht wie üblich „in der Linie“ verortet, sondern unsere Kompetenzen seit Oktober 2020 in einer direkt bei der Behördenleitung angesiedelten Stabsstelle gebündelt. Mit ihr haben die Akteure aus Wirtschaft und Industrie mit ihren Ideen, Plänen und Projekten, aber auch mit ihren Nöten und Sorgen eine direkte Schnittstelle zum Senat und zur Politik erhalten. Zusammen mit mir umfasst die Stabsstelle aktuell acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

 

Was sind denn konkret die Aufgaben Ihres Teams?

Einen großen Schwerpunkt bilden unsere vielfältigen Vernetzungsthemen. Auf Hamburger Ebene möchte ich vor allem die Gründung des Clustersegmentes Wasserstoffwirtschaft im Cluster EEHH Anfang 2021 hervorheben. Die Betreuung und Steuerung des sich noch im Aufbau befindlichen Clusters und seiner Wasserstoffprojekte, aber auch die aktive Mitwirkung als ein Partner dieser öffentlich-privaten Partnerschaft zählen zu unseren spannenden Aufgaben. Mit dem Cluster wird das Hamburger Wasserstoffökosystem auf ganz exzellente Weise engmaschig vernetzt.

Auf norddeutscher Ebene setzen wir im Schulterschluss mit unseren KollegInnen der anderen vier Nordländer sowie den zahlreichen Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft aktiv unsere gemeinsame norddeutsche Wasserstoffstrategie um. Hier obliegt uns die Steuerung der ministeriellen Koordinierungsgruppe, welche wiederum die Fäden für die verschiedenen Handlungsfelder zusammenhält. Im Jahr 2021 war Hamburg mit der Stabsstelle zudem offizielle Vertreterin der norddeutschen Länder im Nationalen Wasserstoffrat, was eine ganz besondere Erfahrung für mich gewesen ist.

Ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt der Stabsstelle umfasst die Vermittlung, Begleitung und Unterstützung herausragender Projekte der Wasserstoffwirtschaft aber auch die Initiierung und Erarbeitung strategischer Initiativen.

In einer behördenübergreifenden Arbeitsgruppe unter der Leitung eines Amtsleiters der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) und mir erarbeiten wir mit Hilfe eines Gutachters Perspektiven für das stillgelegte Kohlekraftwerk in Moorburg. Klar ist bereits, dass auf dem heutigen Werksgelände eine Großelektrolyseanlage entstehen wird.

 

Das klingt sehr spannend, können Sie hier konkrete Beispiele erläutern?

Über die Hamburger IPCEI-Förderprojekte wurde ja bereits sehr viel in den Medien berichtet, unter anderem auch in diesem Blog des EEHH-Clusters. Die Stabsstelle betreut und begleitet auf der ministeriellen Seite gemeinsam mit der BUKEA den gesamten komplexen Prozess.

Ein weiteres von der Stabsstelle initiiertes und begleitetes, überregional bedeutsames Vorhaben ist die Realisierung des sog. ITZ Nord (Innovations- und Technologiezentrum „Wasserstofftechnologie für Mobilitätsanwendungen“). Am 02.09.2021 wurde vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) (ehemals Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur/ BMVI) bekanntgeben, für das ITZ-Nord mit den inhaltlichen Schwerpunkten Luftfahrt und Schifffahrt bis Ende 2024 Mittel in Höhe von bis zu 70 Millionen Euro bereitzustellen, dessen Verteilung auf die drei Nordländer Bremen, Stade und Hamburg erfolgen soll. Damit ist das ITZ Nord ein Vorzeigeprojekt für den norddeutschen Wasserstoffstandort und exemplarisch für eine effiziente und zielorientierte Zusammenarbeit zwischen den Ländern. Das ITZ Nord richtet sein Angebot nicht nur auf Kooperationen mit großen industriellen Partnern aus,  sondern adressiert insbesondere den Mittelstand und Start-Ups. Der konzeptionelle Fokus wird u.a. auf der Entwicklung und Integration von Brennstoffzellensystemen und korrespondierenden Komponenten, auf der Hybridisierung, Betankungskonzepten sowie der Bündelung von Kompetenzen bezgl. der Regulatorik liegen.

Strategisch liegt momentan ein besonderer Fokus auf der Fertigstellung einer Importstrategie für grünen Wasserstoff. Hintergrund ist, dass der mit dem Markthochlauf verbundene steigende Bedarf an grünem Wasserstoff, insbesondere in Industriestandorten mit einem hohen Dekarbonisierungsbedarf wie Hamburg, absehbar nicht mit der heimischen Produktion gedeckt werden kann. Deshalb wird dem Import von grünem Wasserstoff zukünftig eine hohe Bedeutung zukommen. Unser Ziel ist es, Hamburg als „Green Hydrogen Hub Europe“ zu positionieren und über Importe die enormen Bedarfe der Abnehmer vor Ort zu bedienen sowie als Transitstandort nationale und europäischen Bedarfe ebenfalls zu adressieren. Dafür ist der Standort Hamburg mit seinem Hafen und seiner wirtschaftlichen, geografischen und infrastrukturellen Lage prädestiniert.

Wir setzen deshalb ebenfalls verstärkt auf internationale Kooperationen mit Regionen, aus denen Wasserstoff oder seine Derivate über Pipelines oder auf dem Seeweg nach Deutschland importiert werden können. So haben wir letztes Jahr bereits entsprechende Abkommen mit Schottland und der niederländischen Gemeinde Groningen geschlossen.

Zudem begleiten wir die Aktivitäten von H2Global, die über einen temporären Ausgleich der Differenz zwischen Ankaufspreis und Verkaufspreis für grünen Wasserstoff und dessen Derivate über Bundesmittel einen erheblichen Beitrag zum Beginn eines internationalen Wasserstoffhandels leisten. Die gesamte operative Umsetzung von H2Global wird von Hamburg aus gesteuert, der aktuelle Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht eine europäische Erweiterung des Programms vor – dies möchten wir unterstützen.

 

Was sind denn aus Ihrer Sicht besondere Highlights im vergangenen Jahr gewesen?

Ein Highlight für die gesamte Stabsstelle war ganz klar die Verkündung der nationalen Vorauswahl durch die Bundesregierung im IPCEI-Prozess, als allein acht Hamburger Projektskizzen zusammengefasst in einen Verbundantrag für den europäischen IPCEI-Förderprozess bestätigt wurden – ein großartiger Erfolg für den Wasserstoffstandort Hamburg. Das gemeinsame Verbundprojekt, welches auch den schon genannten 100-MW-Elektrolyseur auf dem heutigen Standort des stillgelegten Kohlekraftwerkes Moorburg sowie den Ausbau der Pipeline-Infrastruktur beinhaltet, bildet die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette ab - angegliedert sind u.a. ArcelorMittal, HHLA und Airbus - und ist für den erfolgreichen Aufbau der grünen Wasserstoffwirtschaft sowie für die Vorreiterrolle des Standortes Hamburg unglaublich wichtig.

Ein emotionaler und zugleich bewegender Moment war auch unser Senatsempfang im März 2021, den wir anlässlich der Clustergründung ausgerichtet hatten. Das große Interesse einer Vielzahl von Teilnehmern, die Videobotschaft des Ersten Bürgermeisters Dr. Peter Tschentscher und viele weitere Beiträge haben trotz des digitalen Formates für eine ganz besondere Aufbruchsstimmung gesorgt. Ich denke, das war ein ganz wichtiges Signal für die Hamburger Wasserstoffakteure.

 

Und welche Herausforderungen und Entwicklungen erwarten Sie für 2022?

Die gesamte Wasserstoffwirtschaft befindet sich noch im Aufbau, insofern wird es sicherlich auch 2022 spannend und herausfordernd zugleich weitergehen. Auch mit der neuen Bundesregierung wird noch mal eine andere Dynamik in den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft und den Ausbau der Erneuerbaren Energien kommen. Ich bin mir aber sicher, dass Hamburg und Norddeutschland weiterhin die Treiber beim Thema Wasserstoff bleiben.

So wird z.B. die Norddeutsche Wasserstoffstrategie mit ihren bisherigen vier Handlungsfeldern 2022 um ein fünftes Handlungsfeld „Markthochlauf“ ergänzt, das künftig von der Stabsstelle betreut werden wird. Es soll als eine Querschnittsaufgabe vor allem kurz- und mittelfristige Impulse für Geschäftsmodelle einer hochlaufenden, sich selbst tragenden Wasserstoffwirtschaft entwickeln.

Mit dem benötigten Hochlauf der grünen Wasserstoffwirtschaft kommt 2022 vor allem der Regulatorik eine wichtige Rolle zu. Auf der einen Seite muss vermieden werden, dass die zusätzliche Stromnachfrage für die Wasserstofferzeugung die Nutzung fossiler Energieträger verlängert und so die Klimaziele konterkariert. Auf der anderen Seite muss aber ein zügiger Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft unterstützt werden. Der regulatorische Rahmen muss private Investitionen anregen und unterstützen. Der erforderliche Mechanismus muss zudem den Transformationsprozess in seinen Phasen spezifisch und flexibel unterstützen.

Es ist insgesamt also ein anspruchsvoller Balanceakt notwendig, weshalb wir auch mit großer Spannung den geplanten delegierten Rechtsakt zur RED II Direktive der EU-Kommission erwarten.

Auch die Begleitung des komplexen IPCEI-Prozesses wird weiterhin einen Schwerpunkt unserer Arbeit ausmachen. Die ausgewählten Projekte durchlaufen aktuell das Verfahren von europäischem „Matchmaking“ mit anderen Projekten über die EU-Notifizierung in sog. Wellen mit thematisch ähnlichen Projekten bis hin zur finalen nationalen Antragstellung. Ähnlich arbeitsintensiv wird die Realisierungsphase bezüglich des ITZ Nord nach Abschluss der aktuellen Machbarkeitsuntersuchung ausfallen.

Zudem gesellen sich zahlreiche weitere von uns zu begleitende Ansiedlungsprozesse sowohl im Produktionsbereich grünen Wasserstoffs als auch Investitionen in andere wasserstoffbezogene Unternehmungen. Es ist wunderbar zu beobachten, wie stark der Standort Hamburg bei überregionalen und internationalen Investoren wahrgenommen wird.

Und nicht zuletzt erwarte ich auch im Jahr 2022 viel Bewegung in unserer internationalen Vernetzungsarbeit bezüglich zukünftiger Importaktivitäten. Hamburg hat sich als aufstrebender grüner Wasserstoffstandort und als zukünftiges Verteilzentrum auf der internationalen Landkarte etabliert, was sich durch zunehmende Ansprachen aus dem internationalen Raum bemerkbar macht. Wir streben neben den bereits bestehenden Kooperationen weitere an und stehen aktuell mit weiteren Ländern und Regionen in Kontakt, wie z.B. Dänemark, Island, Norwegen, Tunesien, Ägypten, Chile, Vereinigte Arabische Emirate oder USA. Neben den Kooperationsvereinbarungen müssen darüber hinaus die weiteren konkreten Aktionspunkte aus unserer Importstrategie umgesetzt werde. Dabei wird das Thema Pipelineinfrastruktur, z. B. Richtung Dänemark im Rahmen des Projektes HyPerLink III, eine bedeutende strategische Rolle für Hamburg und Schleswig-Holstein spielen. Gerade bei solch langfristig ausgerichteten Projekten ist es notwendig, schnellstmöglich die Umsetzung einzuleiten.

Im Interview

Markus Pitz ist Jurist und leitet die Stabsstelle „Wasserstoffwirtschaft“ seit ihrer Gründung im Oktober 2020. Seine bisherige Laufbahn bei der Freien und Hansestadt Hamburg ist äußerst vielseitig: Nach drei Jahren als koordinierender Referent für die Airbus-Werkserweiterung in der Wirtschaftsbehörde leitete er u.a. das Referat für die staatlichen Bühnen in der Kulturbehörde und danach erneut in der Wirtschaftsbehörde das Luftverkehrsreferat, das Rechtsreferat für die Zentralverwaltung sowie die Abteilung für Agrarwirtschaft und die Pflanzenschutzbehörde. Neben seiner derzeitigen Stabsstellentätigkeit zeichnet Herr Pitz aktuell auch weiterhin für die Abteilung Pflanzenschutz, das neue Hamburger Food Cluster sowie den Landesbetrieb Großmarkt verantwortlich.

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